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No.23Wie Eulenspiegel sich bei dem Grafen von Anhalt als Turmbläser verdingte, und wenn Feinde kamen, so blies er sie nicht an, und wenn keine Feinde da waren, so blies er sie an.

Nicht lange darnach kam Eulenspiegel zu dem Grafen von Anhalt. Zu dem verdingte er sich als Turmwächter. Der Graf hatte viel Feindschaft, so daß er in dem Städtchen und auf dem Schloß zu der Zeit viel Reiter und Hofvolk hielt, die man alle Tage speisen mußte.

Darüber ward Eulenspiegel auf dem Turm oft vergessen, so daß man ihm keine Speise sandte. Und eines Tages kam es dazu, daß des Grafen Feinde vor das Städtlein und das Schloß rannten und die Kühe nahmen und sie alle hinwegtrieben. Und Eulenspiegel lag auf dem Turme und guckte durch das Fenster und machte keinen Lärm weder mit Blasen noch mit Schreien. Als das Gerücht vor den Grafen kam, eilte er mit den Seinen den Feinden nach. Dabei sahen etliche, daß Eulenspiegel auf dem Turm im Fenster lag und lachte. Da rief ihm der Graf zu: "Warum liegst du im Fenster und bist so still ?" Eulenspiegel rief wieder herab: "Vor dem Essen ruf ich und tanz ich nicht gern." Der Graf rief ihm zu: "Willst du nicht die Feinde anblasen ?" Eulenspiegel rief zurück: "Ich darf keine Feinde heranblasen, das Feld wird sonst voll von ihnen, und ein Teil von ihnen ist schon mit den Kühen abgezogen. Blies ich erst mehr Feinde, sie schlügen Euch zu Tod." So war das Gespräch.

"Wohlan, es ist gut", sagte der Graf, eilte den Feinden nach, und sie tummelten sich miteinander. Eulenspiegel ward auf der Turmwarte vergessen. Und der Graf war eine Weile zufrieden. Er erbeutete einen Haufen Vieh von seinen Feinden, und das hieben sie in Stücke und brieten es. Eulenspiegel dachte auf dem Turm, wie er auch etwas von der Beute davontrüge, und gab darauf acht, wenn es Essenszeit sein würde. Da fing er an zu rufen und zu blasen: "Feindio, Feindio !" Der Graf lief eilends mit den Seinen von den gedeckten Tischen, legte den Harnisch an, nahm Waffen in die Hand, und sie eilten sogleich dem Tor zu, in dem Feld nach den Feinden zu lugen. Derweil lief Eulenspiegel behend und schnell von dem Turm und kam über des Grafen Tisch und nahm sich von der Tafel Gesottenes und Gebratenes und was ihm beliebte und ging schnell wieder auf den Turm. Da nun die Ritter und das Fußvolk kamen, wurden sie keiner Feinde gewahr und sprachen miteinander: "Der Türmer hat das aus Schalkheit getan" und zogen wieder heim, dem Tore zu.

Der Graf rief zu Eulenspiegel hinauf: "Bist du unsinnig und toll geworden ?" Eulenspiegel sprach: "Ohne alle arge List; aber Hunger und Not erdenken manche List." Der Graf sprach: "Warum hast du 'Feindio' gerufen, und ist keiner da gewesen ?" Eulenspiegel antwortete: "Da keine Feinde da waren, mußt ich etliche daherblasen." Da sprach der Graf: "Du kratzt dich mit Schalksnägeln: Sind Feinde da, so willst du sie nicht anblasen, und sind keine da, so bläst du sie an. Das sollte wohl Verräterei werden !" Und er setzte ihn ab und dingte einen andern Turmwächter an seiner Statt, und Eulenspiegel mußte mit ihnen zu Fuß auslaufen als Fußknecht.

Das verdroß ihn sehr, und er wäre gerne von dannen gegangen, konnte aber mit Glimpf nicht hinwegkommen. Wenn sie gegen den Feind auszogen, so trödelte er stets und war allezeit der letzte zum Tor hinaus. Und wenn sie es geschafft hatten und wieder heimkehrten, so war er allewege der erste zum Tor hinein. Da sprach der Graf zu ihm, wie er das von ihm verstehen solle: wenn er mit ihm gegen den Feind auszöge, wäre er immer der letzte, und wenn man heimzöge, der erste. Eulenspiegel sprach: "Ihr sollt darüber nicht zürnen, denn während Ihr und Euer Hofgesinde schon aßen, saß ich auf dem Turm und fastete: davon bin ich kraftlos geworden. Soll ich nun der erste an den Feinden sein, so muß ich die Zeit wahrnehmen und heraneilen, daß ich ja der erste an der Tafel und der letzte beim Weggehen wäre, damit ich wieder stark werde. Dann wollte ich wohl der erste und der letzte an den Feinden sein." – "So hör ich wohl", sprach der Graf, "daß du nur so lange bei mir aushalten wolltest, als du auf dem Turme saßt." Da sprach Eulenspiegel: "Was jedermanns Recht ist, das nimmt man ihm gern." Da sprach der Graf: "Du sollst nicht länger mein Knecht sein" und gab ihm den Laufpaß. Da war Eulenspiegel froh, denn er hatte nicht viel Lust, alle Tage mit den Feinden zu fechten.

(Aus: Ein kurzweilig Lesen von Till Eulenspiegel - In Eulenspiegels eigenem Verlag erschienen zu Berlin 1978)

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